Ein Meerwasseraquarium kann faszinierende Einblicke in die Lebensgemeinschaften in einem Korallenriff bieten. Gleichzeitig unterliegen diese komplexen Beziehungen aber auch einem empfindlichen Gleichgewicht und können leicht aus dem Lot geraten. Zunächst freudig begrüßte Anemonen aus dem lebenden Riffgestein vermehren sich explosionsartig und verdrängen wertvolle Korallen, als winzige Jungtiere eingeschleppte Krabben wachsen heran und vergreifen sich an Deinem Fischbesatz oder Algen- und andere Beläge überziehen das gesamte Becken und ersticken alles unter ihrer unattraktiven Decke. Wer sind diese Plagegeister und Schrecken des Meerwassers, warum werden sie zum Problem und wie wirst Du sie wieder los? Das erfährst Du in diesem Übersichtsartikel.
Wie kommt es zu Plagen?
Fehler in der Einfahrphase vermeiden
Bereits bei der Einrichtung und Einfahrphase Deines Riffaquariums gilt es eine Reihe von grundlegenden Voraussetzungen zu beachten, damit Du dauerhaft Freude an dem Aquarium hast und es nicht zu schleichenden Veränderungen kommt, die einer Plage den Boden bereiten.
Statte das Aquarium mit moderner, ausreichend dimensionierter Technik aus! Dazu gehört ein effizienter Abschäumer, der für die jeweilige Literzahl ausgelegt ist. Die Beleuchtung sollte mit energiesparender und leistungsstarker LED-Technik erfolgen und in Leistung und Spektrum auf die zu pflegenden Wirbellosen sowie die Beckentiefe angepasst sein. Gegebenenfalls ist auch bereits eine Kühlung für die Sommermonate einzuplanen.
Verwende als Bodengrund am besten lebenden Korallensand und orientiere Dich bei der Höhe des eingebrachten Substrats daran, ob Du grabende Tiere pflegen möchtest oder nicht. Setze das Meerwasser mit einem hochwertigen Meersalz an, das alle Makro- und Mikroelemente im richtigen Verhältnis erhält und lass das frische Salzwasser (auch wenn der Hersteller sofortige Verwendung verspricht) bei Neueinrichtung im Aquarium ein paar Tage bis eine Woche reifen, bevor Du das Riffgestein ins Becken einbringst.
Der Riffaufbau sollte bei kleinen Aquarien am besten komplett aus Lebendgestein aufgebaut werden, bei größeren Becken kannst Du aus Kostengründen auch trockenes, totes Riffgestein einbringen; es sollten aber dennoch mindestens 30 % Lebendgestein verbaut werden, um schnell ein biologisches Gleichgewicht zu erreichen. Gestalte den Riffaufbau so, dass keine „toten“ Zonen entstehen, die nicht durchströmt werden können und an denen sich Mulm ansammelt, der häufig den Ausgangspunkt für Algen- und andere Probleme darstellt. Sorge mit einer passenden Anzahl geschickt ausgerichteter Strömungspumpen dafür, dass idealerweise das gesamte Becken von der Zirkulation erfasst wird.
Impfe das neu eingerichtete Aquarium zusätzlich zum Lebendgestein mit einem Bakterienpräparat oder etwas Bodengrund aus einem gut laufenden Riffbecken an, um die Einfahrphase zu erleichtern. Nun heißt es erst einmal abwarten, während sich nach und nach ein biologisches Gleichgewicht in Deinem Aquarium einstellt. Dies geschieht in der Regel über verschiedene Phasen mit Kieselalgen- und Grünalgenwachstum und ist nicht vergleichbar mit einer später in einem Riffbecken auftretenden Algenplage, denn diese Massenvermehrungen in der Einfahrphase finden in den meisten Fällen auch wieder ein schnelles Ende. Etwa 3 bis 6 Wochen nach der Einrichtung kann in der Regel nach und nach der Fischbesatz erfolgen und die Einfahrphase ist überstanden. Beginnst Du jedoch zu früh damit, zusätzliche Belastung in Form von Fischen oder anderen Tieren in das System einzubringen, so kann es sein, dass sich kein Gleichgewicht einstellt und Du dauerhaft mit einer Plage nach der anderen zu kämpfen hast.
Fehler im laufenden Betrieb vermeiden
Besetze Dein Riffaquarium nur mit Tieren, für die es auch in ausgewachsenem Zustand noch geeignet ist – mancher Fisch wächst schnell vom kleinen niedlichen Jungtier zum imposanten Erwachsenen heran und belastet dann das System mit seinen Ausscheidungen oder fügt den Wirbellosen Schäden zu. Ebenso kann sich beispielsweise eine beim Einsetzen kleine Teppichanemone zu einem stattlichen Exemplar von über 60 cm Durchmesser entwickeln.
Wenn Du neue Tiere in Dein Aquarium holst, so informiere Dich im Vorfeld, ob sie sich mit dem übrigen Besatz vertragen – und ob sie möglicherweise selbst das Potenzial mitbringen, zur Plage zu werden. Beispiele hierfür sind manche Anemonen oder Schwämme. Lebendgestein und sessile Wirbellose solltest Du auch bereits vor dem Kauf im Hälterungsbecken einer kritischen Prüfung unterziehen, denn häufig ist schon zu erkennen, ob sie „blinde Passagiere“ mitbringen, die das Gleichgewicht Deines Beckens gefährden könnten. Gibt es Fraßspuren oder ist der Plagegeist selbst zu entdecken? Selbst wenn es nur ein einzelnes Schneckchen oder ein kleiner Gänsefußseestern ist – überlege Dir gründlich, ob Du das Risiko eingehen möchtest, dass sich weitere im Gestein verstecken und bei Dir zuhause zur Massenvermehrung schreiten.
Achte auch bei der Gesamtzahl der gepflegten Organismen auf Verträglichkeit mit der zur Verfügung stehenden Filtertechnik, um Überlastungen und sich verschlechternde Wasserwerte zu vermeiden. Kontrolliere die wichtigsten Wasserparameter regelmäßig, damit Du eventuelle Veränderungen rechtzeitig erkennst und gegensteuern kannst.
Auch bei der Fütterung lassen sich Fehler vermeiden: Sorge stets dafür, dass das gereichte Futter für die jeweiligen Empfänger passend in Menge, Größe und Zusammensetzung ist und entferne liegengebliebenes Futter aus dem Becken, indem Du es abkescherst oder absaugst, damit es sich nicht zersetzt und das Wasser belastet. Häufig entscheidet auch der Fütterungszeitpunkt darüber, ob das Futter im Verdauungstrakt des tag- oder nachtaktiven Aquarientieres oder ungenutzt in einer Ecke des Aquariums landet.
Plagen erkennen und bekämpfen
Wenn Du in Deinem zuvor gut funktionierenden Riffaquarium eine Veränderung bemerkst, so gilt es zunächst herauszufinden, was die Ursache ist, um diese anschließend beseitigen zu können. Sind plötzlich auftauchende Beläge vorhanden oder der Plagegeist selbst zu sehen, so kann eine Identifizierung versucht werden. Häufig sind allerdings zunächst nur indirekte Auswirkungen wahrnehmbar. Die Korallenpolypen öffnen sich auch zur Fütterung nicht mehr, Deine Riesenmuschel bleibt ebenfalls geschlossen oder manche sessile Wirbellose beginnen gar sich aufzulösen. In diesen Fällen bleibt Dir nichts anderes übrig, als Dich auf die Lauer zu legen – gerne auch mit einer Lupe oder sogar nachts mit einer Taschenlampe ausgerüstet. Taucht dann plötzlich ein gefräßiges Monster im Scheinwerferlicht auf (oder doch nur eine niedliche, aber dennoch hungrige Krabbe), welches sich an Deinen Korallen gütlich tun möchte oder entdeckst Du winzige Pünktchen auf dem Mantellappen der Muschel, so kann es ebenfalls an die Bestimmung der Art- bzw. Gruppenzugehörigkeit gehen.
Im Folgenden möchten wir eine Auswahl der wichtigsten Tier- und Pflanzengruppen vorstellen, denen Du im Laufe Deiner Riffaquarianerlaufbahn ungewollt begegnen kannst, und einen Überblick über die erfolgversprechendsten Bekämpfungsmaßnahmen geben.
Algen und Einzeller
Es gibt Tausende von Algenarten im Meer, aber für unsere Betrachtung lassen sie sich grob in zwei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe umfasst Makroalgen der Gattung Caulerpa, auch Kriechsprossalgen genannt, die besonders bei Einsteigern in die Riffaquaristik Gefallen finden, da sie meist pflegeleicht sind und ihr Aussehen an die höheren Wasserpflanzen des Süßwassers erinnert. Leider können sie mit der Zeit das komplette Riffgestein überwachsen, und wenn sie – angeregt durch Wasserwechsel, einen verletzten Trieb oder andere Auslöser – zur geschlechtlichen Vermehrung schreiten, löst sich der gesamte Bestand innerhalb weniger Tage auf, was zu einer immensen Wasserbelastung führt. Die Kriechsprossalgen lassen sich mechanisch beseitigen, allerdings musst die komplette Alge mit allen Wurzeln entfernt werden, da sie auch aus kleinsten Teilstücken nachwächst. Die Algenfressende Krabbe Percnon gibbesi oder (bei großen Aquarien) Doktorfische halten Caulerpa-Bestände unter Kontrolle. Den positiven Effekt der Entfernung von überschüssigen Nährstoffen wie Nitrat und Phosphat aus dem Aquarienwasser kannst Du Dir zunutze machen, indem Du die Kriechsprossalgen in einem separaten, aber in den Wasserkreislauf des Hauptbeckens integrierten Refugium pflegst, beispielsweise im Aquarienunterschrank.
Kriechsproßalgen lassen sich nur sehr schwer dauerhaft vom Riffgestein entfernen.
Zur zweiten Gruppe zählen wir alle Algen und Einzeller mit algenähnlichem Wuchs, die sich wohl niemand freiwillig in sein Aquarium holen würde, da ihre Optik stark zu wünschen lässt. Es handelt sich um die - kurze Büschel oder lange Fäden bildenden - Grün- und Goldalgen, die Boden und Riffgestein mit Belägen überziehenden Kieselalgen und Dinoflagellaten sowie die kugeligen Blasenalgen. Eine eindeutige Identifizierung ist meist nur unter dem Mikroskop möglich, in vielen Fällen aber nicht unbedingt nötig, da sie vergleichbare Ursachen haben und sich auch die Bekämpfungsmöglichkeiten ähneln. Eine Reduzierung der vorhandenen Nährstoffe, insbesondere Nitrate, Phosphate und Silikate in Kombination mit mechanischer Beseitigung, soweit möglich, kann bereits das Ruder herumreißen, sodass sich das Gleichgewicht im Becken wieder einstellt. Die Zugabe von Bakterienstartern mit nützlichen Bakterienstämmen stellt ebenfalls eine erfolgversprechende Maßnahme im Kampf gegen unerwünschte Einzeller dar, da die „guten“ Bakterien mit diesen um die vorhandenen Makro- und Mikronährstoffe in Konkurrenz treten und die Plagegeister in ein Schattendasein zurückdrängen können.
Strudelwürmer
Die meisten Arten der Strudelwürmer oder Turbellarien sind zwar harmlos, können sich aber extrem schnell, teilweise im Abstand weniger Tage, durch Teilung vermehren und so massenhafte Bestände im Aquarium bilden. Insbesondere die roten Turbellarien sind im Riffaquarium häufig an gut beleuchteten Stellen wie den Glasscheiben zu finden. Auf Acropora Steinkorallen vermehren sich parasitisch lebende Arten, die das Korallengewebe schädigen können. Ihre Beseitigung erfolgt am besten durch ein Quarantänebad der befallenen Koralle mit einer speziell zur Anwendung gegen Strudelwürmer vorgesehenen Lösung. Die roten Turbellarien auf Steinen und Scheiben können durch regelmäßiges Absaugen mit einem Schlauch dezimiert werden. Da Kieselalgen ihre Hauptnahrung darstellen, kann auch die Verringerung des Silikatgehaltes im Wasser sich auf ihre Populationsdichte negativ auswirken.
Rote Turbellarien besitzen eine sehr hohe Vermehrungsrate.
Borsten- und Kieferwürmer
Die meisten Vertreter dieser Tiergruppe sind nützliche Bewohner Deines Meerwasseraquariums. Lediglich die großwerdenden Arten wie Feuerborstenwurm oder Kieferwurm können nicht nur dem Menschen bei der Aquarienpflege mit Borsten und Kiefer unangenehme Verletzungen zufügen, es handelt sich bei ihnen auch um Räuber, die neben Deinen Korallen sogar Fische erbeuten. Ihr Fang ist bei jungen Exemplaren mit einer Borstenwurmfalle möglich, große Tiere lassen sich mit etwas Glück in einen freistehenden Riffstein treiben, der dann schnell in einem großen Kescher aus dem Aquarium genommen wird. Fasse Borstenwürmer niemals mit bloßen Händen an, um schmerzhafte Erfahrungen zu vermeiden!
Die erste - meist nächtlich im Licht einer Taschenlampe stattfindende - Begegnung mit einem Kieferwurm hat schon manchen Meerwasseraquarianer das Grausen gelehrt.
Anemonen und Korallen
Wohl jeder Meerwasseraquarianer hat schon einmal Bekanntschaft mit Glasrosen (Aiptasia sp.) gemacht. Einmal eingeschleppt, vermehren sich die durchsichtigen kleinen Seeanemonen gerade bei Gabe von Planktonfutter im Aquarium massenhaft und tauchen früher oder später an den unmöglichsten Stellen auf Steinen, Scheiben und Aquarientechnik auf. Es gibt aber noch weitere Nesseltiere, die ein großes Ausbreitungspotenzial besitzen. Allen voran die Manjano- oder Feueranemone, die ebenfalls über eine sehr hohe Vermehrungsrate verfügt. Pumpende Xenien (Xenia umbellata) sind mit ihren sich pumpend in der Strömung wiegenden Polypen ein faszinierendes Schauspiel aber leider kann auch diese Weichkoralle bei ihr zusagenden Bedingungen andere Korallen durch ihr Wachstum regelrecht ersticken. Selbst manche Scheiben- oder Krustenanemonen sind zu schneller Vermehrung fähig und können durch ihre stark nesselnden Polypen andere sessile Wirbellose verdrängen.